Uechi-Ryu Karate-Do ist eine aus Okinawa (Japan) stammende Kampfkunst, deren eigentliche Wurzeln im Süden Chinas liegen. Begründet wurde dieser Stil von Kanbun Uechi (1877-1948), einem Einwohner Okinawas, der ihn um die Jahrhundertwende aus dem chinesischen Kung-Fu-Stil 'Pan-gai-nun' ('Halb hart, halb weich') entwickelte. Sein Lehrer war der chinesische Meister Chou-tsu Ho (okinawanisch: Shu Shi Wa). Der Stil beruht auf der Nachahmung der Bewegungen von Tiger, Kranich und Drache. Kanei Uechi (1911-1991), Kanbuns Sohn, benannte den Stil später nach seinem Vater 'Uechi-Ryu'. Das Uechi-Ryu in der heutigen Form geht auf die Arbeit von Kanei Uechi zurück. Er fügte zu den von seinem Vater aus China mitgebrachten drei Hauptkatas (Kata: Form, festgelegte Abfolge von Kampftechniken) Sanchin, Seisan und Sanseiryu noch fünf weitere sogenannte Brückenkatas und Partnerübungen hinzu, um den Stil weiterzuentwickeln, ohne ihn zu verfälschen.
"Der Karatestil Uechi-Ryu ist benannt nach Kanbun Uechi, der in den Jahren 1897 - 1910 im Zentraltempel der Provinz Fukien in China Kung-Fu lernte. Der chinesische Name des Kung-Fu-Stils, den er studierte, lautet Pangai-Noon (Pwang-gay-noon). Als Kanbun Uechi 1948 starb, benannten seine Schüler den Stil in Uechi-Ryu um ('Ryu' ist das japanische Wort für Stil). Kanbun Uechi wurde von Chou-tzu-ho unterrichtet, der noch heute bei den alten Meistern in Taiwan sehr hoch angesehen ist und als ein sehr berühmter Meister gilt.
Kanbun Uechi hatte zwei Gründe, weswegen er Okinawa verließ. Der Hauptgrund war wahrscheinlich, die hohe chinesische Kampfkunst (auch Kenpo genannt) zu erlernen. Während des 18. und 19. Jahrhunderts gingen viele große Lehrer Okinawas nach China um dort zu studieren.
Seit 1879, als Okinawa unter japanischer Herrschaft stand, wurden die Jugendlichen Okinawas gezwungen, in der japanischen Armee zu dienen. Die ältere Generation, der auch Kanbuns Eltern angehören, widersetzte sich heftig dieser militärischen Einberufung. Sie hatten Angst davor, dass Japans Feinde auf Okinawa einfallen würden, wenn ein bewaffnetes Heer auf Okinawa stationiert wäre. Die Frauen beteten täglich am Shinto-Schrein und in den buddhistischen Tempeln, dass ihre Männer und Söhne für den Militärdienst ungeeignet sein mögen. Ermutigt durch seine Eltern verließ Kanbun Uechi im Frühjahr des Jahres 1897 heimlich die Insel Okinawa und machte sich auf den Weg zu unbekannten Abenteuern nach China.
Obgleich wenig über seinen dreizehnjährigen Aufenthalt in China bekannt ist, erzählte er seinen Schülern gelegentlich Geschichten über seine Reisen und sein Studium des Karate. Sein Sohn Kanei sagte, dass er all seine Energie darauf konzentrierte, Karate zu meistern. Er lernte nicht nur die physische Kunst, die auch die chinesische Medizin beinhaltete, sondern auch die zugrundeliegende Philosophie dieser Kunst, die einen tiefen Eindruck bei ihm hinterließ.
Nach zehnjährigem Studium erhielt Kanbun die Erlaubnis, seine eigene Schule zu eröffnen. Unter großen anfänglichen Schwierigkeiten baute Kanbun eine Schule in der Provinz Nansoue auf. Herr Gokenkein, ein chinesischer Teehändler und Schüler des Kingai-Stils (ein Karatestil, der dem Gojo-Ryu aus Okinawa ähnelt), warnte Kanbun, dort eine Schule zu eröffnen, da dies schon andere versucht hätten und gescheitert wären. Kanbun erwiderte, dass ihm diese Gegend gefalle und er seine Karatekenntnisse testen wolle, indem er hier eine Schule gründe. Trotz einiger Rückschläge stieg mit der Zeit sein Ansehen und er hatte schließlich eine erfolgreiche Schule mit vielen Mitgliedern, darunter auch Gokenkein, ausgerechnet der Mann, der ihn davor gewarnt hatte, hier eine Schule zu eröffnen. Kanbun Uechi wurde die Auszeichnung zuteil, der einzige aus Okinawa gewesen zu sein, der es tatsächlich schaffte, in China zu unterrichten und als Lehrer akzeptiert zu werden.
Kanbun war glücklich in diesem Dorf und unterrichtete erfolgreich, bis leider einer seiner Schüler, eine von Natur aus ruhige und bescheidene Person, in einen Grenzstreit verwickelt wurde. Sein Gegenüber griff ihn bösartigerweise an und der sich instinktiv Verteidigende streckte seinen Gegner mit einem tödlichen Schlag nieder. Die Bewohner des Ortes machten Kanbun Uechi für diesen Tod verantwortlich, da es sich um einen seiner Schüler handelte und der Respekt des Dorfes verwandelte sich in Misstrauen und Hass. Kanbun hatte drei Jahre lang in China unterrichtet, als er nach Okinawa zurückreiste und er schwor sich, nie wieder Karate zu unterrichten, geschweige denn darüber zu sprechen.
Es gibt viele Versionen der Geschichte, wie Kanbun Uechi seine Lehrerkarriere wieder aufnahm, die meisten davon sind teilweise richtig. Die folgende Geschichte wurde von Kanei Uechi (Kanbuns Sohn) erzählt und von Kanbuns erstem Schüler Ryuyu Tomoyose bestätigt.
Kanbun Uechi kehrte 1910 nach Okinawa zurück, heiratete und begann im nördlichen Teil der Insel, in der Nähe von Naha, Ackerbau zu betreiben. Das Leben verlief für Kanbun Uechi in diesen Jahren ereignislos. Dann, etwa zwei Jahre nach Kanbun Uechis Rückkehr nach Okinawa, besuchte ihn Herr Gokenkein, der chinesische Teehändler und frühere Schüler von Kanbun, der sich auf einer Geschäftsreise befand. Herr Gokenkein drängte Kanbun Uechi erfolglos, seine Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen. Gokenkein wurde in einen Kampf mit einem Karatelehrer aus Naha verwickelt. Als Gokenkein diesen Lehrer besiegte, forderten ihn viele andere Lehrer heraus, aber keiner konnte Gokenkein besiegen. Daraufhin besuchten ihn viele junge Männer, die ihn darum baten, ihnen seinen Karatestil beizubringen. Gokenkein erzählte ihnen, dass auf Okinawa ein wirklich großer Karatemeister lebe, der in China sein Lehrer gewesen sei. Sofort wuchs und verbreitete sich Kanbuns Ansehen, obwohl ihn nie jemand bei der Ausübung seiner Kunst gesehen hatte. Viele junge Männer besuchten Kanbun und baten ihn darum zu unterrichten, aber er erwiderte immer, dass man ihn mit jemandem verwechseln müsse. Daraufhin konfrontierten die Leute ihn mit Gokenkein. Danach konnte er die Geschichten über ihn nicht mehr verleugnen, aber er lehnte es immer noch ab, über Karate zu diskutieren oder eine Kata vorzuführen.
Jedes Jahr veranstaltete die Polizei in Motobu ein großes Fest auf dem alle Karateschulen ihr Können demonstrierten. Die anderen Lehrer, die gespannt darauf waren, einen Beweis für Kanbuns Können zu sehen, fragten den Bürgermeister von Motobu, ob er Kanbun bitten könne, sich auch an der Veranstaltung zu beteiligen. Sie wollten, dass er anwesend war und einen Platz so nahe an der Bühne zugewiesen bekäme, dass, wenn er die Bitte des Bürgermeisters ablehnte, er sein Gesicht verlieren würde. Der Plan funktionierte, denn als ihn der Bürgermeister um eine Vorführung bat, schoben ihn die übrigen Karatelehrer, die in seiner Nähe standen, scheinbar scherzhaft auf die Bühne. Sehr schnell und sehr schön führte Kanbun mit funkelnden Augen die Kata Seisan vor und zwar mit solch einer Stärke und Kraft, dass, nachdem er geendet hatte und die Bühne hinuntergesprungen war, um nach Hause zu gehen, das Karateprogramm beendet war, da nach Kanbun keiner mehr die Vorführung fortsetzen wollte.
Von diesem Zeitpunkt an wurde er auf ganz Okinawa als ein wirklich großer Karatemeister respektiert. Itosu Anko, ein bekannter Karatemeister des Shorin-Ryu und ein Karate-Professor am Lehrer-College von Okinawa bot Kanbun eine Stelle an. Es wurde so viel Druck von verschiedenen Seiten auf Kanbun Uechi ausgeübt, dass er schließlich 1924 Okinawa verließ und nach Japan ging.
Mittlerweile in Japan, lebte er in einer Wohnsiedlung in der Präfektur Wakayama, in der Nähe von Osaka. Dort traf er einen wachsamen und aggressiven jungen Mann aus Okinawa, seinen Nachbarn namens Ryuyu Tomoyose. Rein zufällig vermutete Ryuyu, dass Kanbun Karate beherrschte. Eines abends erfand er eine Geschichte, in der er in einen Kampf verwickelt wurde. Er beschrieb einen fiktiven Angriff und sagte, dass er nicht gewusst habe, was er hätte tun sollen. Nachdem Kanbun Uechi dies gehört hatte, wurde er ganz aufgeregt und erklärte Ryuyu, was er hätte tun sollen. Eine Woche lang kam Ryuyu jeden Abend mit einer neuen Selbstverteidigungssituation zu Kanbun und jeden Abend erklärte ihm Kanbun bis ins Detail, was er hätte tun sollen. Nachdem er eingesehen hatte, dass er seine List nicht länger anwenden konnte, konfrontierte Ryuyu Kanbun mit der Tatsache, dass er von seinen Fähigkeiten wisse und flehte Kanbun an, ihm Unterricht zu geben. Kanbun weigerte sich zuerst, stimmte dann aber um ihrer Freundschaft willen zu, unter der Bedingung, dass Ryuyu keinem ein Wort davon sage.
Zwei Jahre später bat Ryuyu Kanbun darum, öffentlich Training zu halten. Er sagte, dass wenn er nicht unterrichten werde, diese Künste aussterben würde und so etwas außerordentlich Gutes sollte an andere Menschen weitergegeben werden. Schließlich ließ sich Kanbun erweichen. Ryuyu warb viele Schüler, die meisten, wie er selbst, von Okinawa. Bis 1947 unterrichtete Kanbun in der Präfektur Wakayama.
1930 hatte Kanei Uechi unter der Führung seines Vaters in Japan zu lehren begonnen. Er trainierte 10 Jahre, dann eröffnete er seine eigene Schule in Osaka, die er zwei Jahre lang leitete. Er kehrte dann nach Okinawa zurück, heiratete, und siedelte sich kurzzeitig als Landwirt in Nago an. Ryuko Tomoyose, der Sohn von Ryuyu Tomoyose, lebte damals in Futenma (Okinawa), als er von seinem Vater erfuhr, dass Kanei auf Okinawa sei. Ryuko fand Kanei und überzeugte ihn davon, zu unterrichten. Ryuko und eine Gruppe von Karateschülern bauten darauf hin ein Dojo für Kanei und holten in als Lehrer nach Futenma. Das war tatsächlich das erste mal, daß es auf Okinawa einen Lehrer für Pangai-Noon gab. Seit dieser Zeit hat Kanei Uechi immer an diesem Ort unterrichtet, Besucher der Insel Okinwa sollten es nicht versäumen, sein Dojo auf dem Gipfel des höchsten Hügels von Futenma anzusehen."
Uechi Ryu ist auf Okinawa seit 1942 schneller gewachsen als jeder andere Karatestil.
Quelle:
Uechi Ryu Karate Do, Classical Chinese Okinawan Self Defense by George E. Mattson
4. Auflage, 1990 (1. Auflage, 1974)
Peabody Publishing Co., P.O.B 1867, Brockton, MA 02403, USA
Dt. Übersetzung : Joachim Röttinger